Review:
Fachtagung & Paneldiskussion

Gleich geht´s los …

Fachtagung & Paneldiskussion Motorradlärm
Hannover, 27.10.2023

Grußwort

Christian Meyer, Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Niedersachsen

Foto: VAGM e.V.

Paneldiskussion

Holger Siegel, Bundesverband gegen Motorradlärm; Bärbel Lehmann, Anwohnerinitiative VAGM e.V.; Dorothee Saar, Deutsche Umwelthilfe; Professor Dr. André Fiebig, TU Berlin (von links).

Foto: Markus Golletz

VAGM e.V.

Bärbel Lehmann von der Anwohnerinitiative VAGM e.V. erläuterte die Situation von Anwohnern an Motorradlärm-Hotspots.

Foto: Markus Golletz

Publikum

Gemischtes und interessiertes Publikum aus Betroffenen: Anwohner, Behördenvertreter, Politik und Motorradfahrende waren zu Gast.

Foto: Markus Golletz

Umweltminister Christian Meyer (rechts) – hier im Gespräch mit Holger Siegel.

Foto: Markus Golletz

Die Psychologie

Professor Dr. Hansjoerg Znoj (Uni Bern) führte in die Psychologie des Motorradfahrens ein.

Foto: Markus Golletz

DUH

Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe DUH kündigte für den Umweltverband eine Klage gegen Hersteller an, die Auspuffklappen als Abschaltvorrichtungen nutzen.

Foto: Markus Golletz

Diskussion

Immer wieder Nachfragen aus dem Publikum. Hier Monika Hahn von einer Schwarzwälder Anwohnerinitiative.

Foto: Markus Golletz

Die Polizei

Polizeihauptkommissar Thomas Hohn von der Stuttgarter Motorradstaffel erklärte aus Sicht der Polizei, wer wie Motorräder für mehr Lärm manipuliert.

Foto: Markus Golletz

Lärmblitzer

Professor Dr. André Fiebig von der TU Berlin gibt Einblicke in die Psychoakustik und erläutert erste Ergebnisse vom Lärmblitzer aus Berlin.

Foto: Markus Golletz

„Lärmgate nach dem Strickmuster von Dieselgate: Umwelthilfe und Motorradlärm-Gegner kündigen Klage gegen Auspuffklappen an Motorrädern und Pkw an“

Hannover. Ein Tag im Zeichen des Motorradlärms – und der Psychologie dahinter: Rund 60 Personen waren Ende Oktober zur Vernetzungsveranstaltung des Bundesverbandes gegen Motorradlärm und der Deutschen Umwelthilfe nach Hannover gekommen und erlebten eine breite Aufarbeitung dieses Lärmproblems – das an derzeit mindestens 700 dokumentierten Hotspots in Deutschland für die Anwohner zu einem geradezu existenziellen Thema geworden ist. Das Publikum setzte sich aus Betroffenen zusammen: Anwohner, Motorradlärmaktivisten – aber auch Motorradfahrer und Motorradlobbyisten waren vertreten.

>> Polizeispezialist
Hauptproblem sind Auspuffklappen

>> Motorradlärm aus Psychologensicht
„Rücksichtlos wie Furzen in der Öffentlichkeit“

>> Psychoakustiker
Der Lärmblitzer funktioniert – auch am Ku’damm:
Motorräder akustisch am auffälligsten

>> Umweltminister
unterstützt einstimmige Forderung an Bundesregierung zur Umsetzung des Bundesratsbeschlusses 125/20

>> Anwohnerinitiativen
identifizieren bislang mehr als 700 Motorradlärm-Hotspots bundesweit

Christian Meyer
Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Niedersachsen

Umweltminister fordert:
Umsetzung von Bundesratsbeschluss 125/20

Die Vernetzungsveranstaltung war Teil eines vom Land Niedersachsen geförderten Gesamtprojektes gegen Motorradlärm. Umweltminister Christian Meyer würdigte in seinem Grußwort das Engagement der Initiativen und das der Vorgängerregierung, die das Projekt initiiert hatte. Aktuell verwies er auf eine einstimmige Aufforderung der Verkehrsministerkonferenz an die Bundesregierung, den Bundesratsbeschluss zum Motorradlärm aus dem Jahr 2020 endlich zu bearbeiten. Darin werden weitreichende Befugnisse für Länder, Städte und Gemeinden gefordert, um dem Problem vor Ort mit Maßnahmen begegnen zu können.

Hauptkommissar Thomas Hohn, Motorradstaffel Polizei Stuttgart

Polizei-Spezialist:
„Hauptproblem ist die Auspuffklappe“

Der Leiter der Kontrollgruppe Motorrad in Stuttgart, Polizeihauptkommissar Thomas Hohn, wandte sich an die anwesenden Biker: „Über eines müsst Ihr Euch im Klaren sein: Irgendwann wird die Politik reagieren – und dann ist der Spaß vorbei. Es sei denn, Ihr sucht den Kompromiss“.
Hohn hatte zuvor aus 20 Jahren Erfahrung mit besonders lauten Motorrädern berichtet: Beispielsweise von neuen Methoden, Auspuffanlagen so zu manipulieren, dass die Polizei fast machtlos scheint, sie zu erkennen. Oder von Manipulationen „ab Werk“ mit dem Hauptproblem „Auspuffklappe“, die heute bei vielen PS-starken Motorrädern serienmäßig- oder nachgerüstet verbaut wird und ganz legal extremen Lärm produziert.

Prof. Dr. Hans-Jörg Zonj, Universität Bern

Psychologie-Professor: „…ziemlich rücksichtslos”

Und der Lärm, so die Psychologie, sei von den Motorradfahrenden ausdrücklich erwünscht. Der Berner Psychologieprofessor Hansjörg Znoj hatte in seinem Einführungsreferat auf die intensive Bindung zwischen Mensch und Maschine hingewiesen und das Motorrad gar als Orthese, als eine Art künstliches Körperteil, bezeichnet. Diese enge Verbindung, die ungestüme Kraftentfaltung und das gefährliche Dröhnen der Maschinen setzen hormonelle Prozesse in Gang, die für Risikosportarten typisch sind. Mit dem Motorradfahren, so Znoj, brechen die Fahrenden aus den Zwängen des Alltags aus und zeigen dabei eine gewisse Rücksichtslosigkeit gegenüber ihrer Umwelt: „In der Öffentlichkeit zu furzen ist ziemlich rücksichtslos“. Jansjoerg Znoj ist selbst Motorradfahrer und hat ein Buch über die Psychologie des Motorradfahrens geschrieben.

Bärbel Lehmann, Anwohnerinitiative VAGM e.V.

Anwohner fordern Empathie und Zugeständnisse

Bärbel Lehmann von der Anwohnerinitiative VAGM e.V. führte in die Lebenssituation der Vor-Ort-Betroffenen ein, die mit dem Problem des Motorradlärms zu kämpfen haben. Häufig an Ortsausgängen oder an stark befahrenen Strecken erlebe die Wohnbevölkerung massive Lärmbelastungen von oft über 80 Dezibel zu Ruhezeiten. Der Lärm sei nicht nur gesundheitsschädlich, sondern mindere auch das Eigentum und Lebensqualität. Lehmann rief die Biker-Verbände zum Dialog auf – allerdings mit echten Zugeständnissen statt Aktionen wie „Kaffee statt Knöllchen“.

„Ich kann durch meinen Werdegang die Fazination Technik auf 2 und 4 Rädern sehr, sehr gut nachvollziehen und habe sogar Verständnis. Aber wenn diese Faszination dazu führt, dass nicht nur andere Menschen geschädigt und krank gemacht und deren Grundstücke entwertet werden – und alle wissen im Unterschied zum Dieseskandal sogar alle – dann ist mein Verständnis zu Ende.

Noch ein zweites Statement: ich befürworte eine starke Wirtschaft, BMW, Porsche, VW, wir haben sie alle in Sachsen, die haben mein Verständnis und in gewisser Weise sogar mein Herz.
Aber: wenn sich die Wirtschaft mit den Produkten, die sie auf den Markt bringt, nur nach dem Kunden richtet, der Sound bestellt und mit Euro bezahlt, und damit noch einen zweiten Kunden schafft, und dieser zweite Kunde hat das Produkt überhaupt nicht bestellt und bezahlt mit etwas viel Wichtigerem: der bezahlt mit seiner Gesundheit – ist an dieser Stelle auch mein Verständnis für eine „starke Wirtschaft“ zu Ende.“

Prof. Dr. André Fiebig, TU Berlin

Lärmblitzer-Test in Berlin: Es funktioniert

Professor André Fiebig von der TU Berlin berichtete über den ersten Modellversuch mit einem Lärmblitzer in der Hauptstadt und gab Einblicke in die Psychoakustik des Themas. Die klare Botschaft: Der Lärmblitzer funktioniert und kann auch in Gruppen von Fahrzeugen das akustisch Auffällige identifizieren. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge, die während des zweimonatigen Versuchszeitraums die Lärmgrenze von 82 dB(A) überschritten, waren Motorräder, rund ein Fünftel waren am Messpunkt Ku‘damm auffällige Pkw, der Rest Lkw und Busse. In der Psychoakustik geht es aber nicht nur um Dezibel, sondern auch um andere Eigenschaften wie die Rauigkeit von Geräuschen. Gerade bei den charakteristischen Geräuschen, die als besonders störend empfunden werden, sieht Fiebig ein enormes ungenutztes Potenzial zur Lärmminderung bei motorisierten Zweirädern.

Dorothee Saar, DUH

Umwelthilfe kündigt Klage an

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) richtete die Veranstaltung mit aus und arbeitet auch im Gesamtprojekt gegen Motorradlärm mit. Die Erkenntnisgewinne der Zusammenarbeit schilderte Dorothee Saar, die bei der DUH das Ressort Luftreinhaltung und Verkehr verantwortet: Die DUH sieht Analogien zwischen Auspuffklappen und den als Dieselgate bekannten Abschaltvorrichtungen bei der Abgasreinigung beim Diesel und kündigte Musterklagen gegen Fahrzeughersteller an, die mit Auspuffklappen die Zulassungsvorschriften umgehen.

Holger Siegel, Markus Golletz, Bärbel Lehmann, Dorothee Saar, André Fiebig (von links)

Paneldiskussion: „Ihr seid das Problem“

In der anschließenden Podiumsdiskussion stellten sich der Motorradjournalist Markus Golletz und eine Auswahl der Referenten den Fragen des Publikums zur Vertiefung des Themas.

Bis zum Schlusswort des Moderatorenteams Edith Götz und Holger Siegel mit einem Bonmot eines Motorradzeitschriften-Chefredakteurs an die Adresse der Biker:

Wir können es drehen und wenden wie wir wollen – IHR seid das Problem …

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