Meinungsbeitrag von Rainer Rau

Kürzlich beschrieb eine Kanufahrerin in einer Sendung des SWR, wie sehr sie das „lautlose Dahingleiten“ auf dem Wasser genießt. Schockierend! Was ist in ihrem Leben schief gelaufen? Kann man ihr überhaupt helfen? Es gibt doch Motorboote und Jetskis, warum sträubt sie sich gegen ein mehrheitsangepasstes Leben im Kreis von Millionen Lärmgourmets?

Plakat zum Tag gegen Lärm 2019.

In der Entwicklung von Wohlstand und Überfluss hat der Lärm für das Selbstverständnis vieler Menschen einen hohen Stellenwert erreicht. Wenn die Grundbedürfnisse gestillt sind, geht es darum, die eigene Anwesenheit und Bedeutung möglichst unübersehbar darzustellen. Weiterhin will man sich dem Verhalten der Massen anpassen, wobei es einfach nur darum geht, dabei zu sein und wahrgenommen zu werden. Wie in vielen anderen Bereichen spielt auch hier die Maßlosigkeit eine wesentliche Rolle. Familienfeiern übertreffen in der Lautstärke Volksfeste von früher, einzelne Autoradios hört man in ganzen Stadtteilen, Dezibel in Clubs, Restaurants und generell bei Menschenansammlungen beulen kontinuierlich die Trommelfelle nach innen.

Beim vermeidbaren Verkehrslärm haben Motorräder die Führungsrolle übernommen, gefolgt von Protz-Pkw mit mehr oder weniger legalem Zubehör. Die schiere Anzahl, das zwanghafte Nachahmen des Fehlverhaltens anderer und die Duldung durch Politik und Behörden haben dazu geführt, dass Rasen und Lärmen für eine rasant steigende Anzahl der Motorradfahrer normal geworden sind. Die Anonymität hinter der Plexiglasvermummung, das schnelle Verschwinden vom Tatort und das Gemeinschaftsgefühl mit den Mittätern lassen ein Gefühl für Fehlverhalten nicht aufkommen. Fahrzeughersteller, Zubehörentwickler und Zulassungsbehörden tun ihr Bestes, die Nutzer ihrer Produkte sich als die neuen Helden fühlen zu lassen und immer grenzen- und rücksichtsloser zu agieren. Die Befürchtung von Sanktionen, selbst bei stärksten Übertretungen von Recht und Ordnung, entsteht beim Zustand unserer Polizei und Justiz gar nicht erst.

Gesellschaftsunverträgliches Verhalten

Das massiv gesellschaftsunverträgliche Verhalten stellt eine Form von Gewalt dar, der die Gestressten und Geschädigten kaum etwas entgegenzusetzen haben. Von den zuständigen Stellen im Stich gelassen, verkriechen sie sich lieber hinter mittlerweile wirkungslosen Schallschutzmaßnahmen oder verkaufen ihre Grundstücke – bevor sie, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, mit gleicher Intensität wie ihre Schädiger gegen sie vorgehen.

Das Rennen geht lautstark weiter. Die steigende Anzahl der Verletzten und Toten setzt keine Denkvorgänge in Gang, außer, wenn der Unfallverursacher ein Pkw war. Hilflose, einzelne Affekthandlungen – wie die des Heugabelmannes – führen zu einem Aufschrei der harmlosen Betreiber eines Hobbies, die um ihre Menschenrechte fürchten.

Als der Straßenverkehr ein bestimmtes Ausmaß erreichte, stellte man Ampeln auf und erfand die StVO. Als das Rauchen in Restaurants und Gaststätten zu gravierend wurde, hat man es reglementiert. Als zu viele „Sportangler“ die Fische quälten und die Ufer zertrampelten und vermüllten, hat man zu Regelungen gegriffen. Man stelle sich Deutschland ohne Waffengesetz vor! Warum ist der heutige Straßenverkehr in vielen Belangen ein rechtsfreier Raum? Der VDA sowie seine Lobbyisten und Nutznießer kennen die Antwort.

Die Verursacher des unnötigen, mutwilligen, vermeidbaren Verkehrslärms sind sich einig, die darunter Leidenden fangen erst an, sich zu wehren. Vielleicht sind die Betroffenen, die das Problem wahrnehmen, schon zu satt und unmotiviert. Teile der jungen Generation könnten hier als Vorbild dienen – „Tuesday gegen Terror – Lärmterror“ wäre eine sinnvolle Maßnahme. Einige wenige Politiker und Behördenmitglieder haben ihre Ohren schon etwas geöffnet, da müssen wir jetzt den Auspufflärm übertönen.

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Letzte Kommentare
  1. Ladendiebstahl und Unfallflucht sollen auf FDP-Wunsch Ordnungswidrigkeiten werden. Bei der Denkweise werden Rasen und Lärmen eher noch staatlich subventioniert.

  2. In Sachen Umweltschäden werden ja inzwischen weltweit gegen deutsche Unternehmen mit hohen Schadensersatzforderungen gerichtliche Verfahren nah dem Verursacherprinzip geführt. Vielleicht…

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