Aufgepasst – endlich mal eine Neuigkeit in Sachen Motorradlärm, die aufhorchen lässt: Der Industrieverband Motorrad Deutschland (IVM) hält seine Kunden in einem Video zum leisen Fahren bzw. Schieben an. Allen ernstes! Wirklich! Mei! Was für eine Wuchtel!

Da hat sich vermutlich der IVM-PR-Kreis getroffen und gesagt: „Es regt sich Unmut im Volk. Natürlich nur in dem Teil, der nicht zu unseren Kunden zählt! Wir müssen etwas tun! Angriff ist die beste Verteidigung! Schuld verschieben! Und zwar lustig, weil Fahrvergnügen ist Kulturgut!“

In dem folgerichtig humorigen und mit Sicherheit viral gehenden Film-Streifen zeichnet eine kreative Kreativagentur ein realistisches Bild zum Stand der Dinge: Die Landbevölkerung hat die Nase (hier = Ohren) voll von den Rowdies. Die Traktoristen und Rollatoristinnen gucken im Film sogar böse! Denen kann man auch nichts recht machen: Früher wurde jede Harley und jeder Streetfighter mit Palmwedeln empfangen, heute kommt der lärmgeplagte Landmann mit der Mistgabel dahergerannt. Pro forma appellieren die Hersteller jetzt an die berittenen Kundschaft, es doch bitte leiser angehen zu lassen. Der Film droht mit Fahrverboten und Schiebzwang. Einschränkender Tenor: Das Motorrad ist ja nicht schuld. Schuld ist das Herrchen mit dem ADHS-Minderwertigkeitskomplex, das draufsitzt! Der Be-Sitzer – wie beim Kampfhund!

Was für ein Noise-Washing!

Können die Hersteller denn gar nichts dafür? Vor 15 Jahren hat BMW noch Motorräder gebaut, die waren als Polizeikrad nicht lauter als ein Pkw. Heute führen die Bayern die Rangliste der Poser mit ihrer BMW S 1000 RR an. Darf wegen Lärmerei nicht auf die Rennstrecke, aber überall Leute belästigen auf öffentlicher Straße. Selbst das Volumenmodell GS geht nicht mehr ohne Auspuffklappen an den Start, geschweige denn durch den TÜV. Ist ja auch eine Art Krawall-Tourenmotorrad. Der TAZ gegenüber hat der Hersteller bekannt, dass es sonst keine Homologation bekommen hätte. Erst jüngst hat das Umweltbundesamt eine BMW RnineT untersucht und festgestellt, dass dieses Ding so laut kann wie 160 Kräder, die den Lärmgrenzwert von 77 Dezibel einhalten. Frage an BMW: Wäre es nicht viel einfacher, dieses „Naked Bike“ leiser und sich selbst ehrlich zu machen? Einfacher als die Fahrer im Nachhinein zum Säuseln bekehren zu wollen, die für diesen Lärmgenerator auf zwei Rädern teuer bezahlt haben?

Schiebung – allerorten

Die Audi-Tochter Ducati scheint angesichts der jüngsten Emissions-Geschichte(n) ebenfalls berufen, ihre Kunden zum Schieben anzuhalten. Spitzenmodell Panigale: Spitzen-Standgeräusch 107 Dezibel bei halber Drehzahl (sic!). Plus 5 Dezibel Toleranz bei der Polizeikontrolle. Dafür hat dieses 200-PS-Modell die Zulassung unter bemerkenswerten Umständen bekommen: Es wurde geräuscharm mit 36,6 km/h im dritten Gang durch den Testzyklus gefahren – oder geschoben. Normenidiotie vom Feinsten…

Ducati Prüfaufkleber: 107 dB (A) Standgeräusch bei halber Nenndrehzahl. Und Fahrgeräusch: Im dritten Gang bei 36,5 km/h den „Grenzwert“ von 80 dB(A) mit Abstand eingehalten.

Geschoben wird ja allerorten: Bestimmt bestückt der IVM auch den illustren Normenkreis in Genf mit kompetenten und diensteifrigen Mitgliedern… Man glaubt es nicht! Wer so einen Testzyklus ersonnen hat, der lebt bar jedes Sachverstands im Herstellerbiotop bei Daimler oder BMW – oder ist raubtierkapitalistisch böswillig.

Zwischenruf:

Ey, du kleiner Diplomingenieur (FH), der du deinen Hintern jahrelang in dieser Normenkommision breit gedrückt hast, um in der Norm den „Stand der Technik“ abzubilden: Was sind schon 1,8 Milliarden Euro für verkehrslärmbedingte Infarkte pro jahr in Deutschland, wenn man dafür viele „legale“ Sportauspuffe mehr verkaufen kann, gell? Und nicht negativ denken, sondern immer lustig bleiben (wie der Film): Herzinfarkt ist ja auch eine Chance, vom Lärm-Hotspot wegzuziehen. Also – wenn man ihn überlebt hat.“ Quelle

Der IVM steht auch für Harley Davidson. Experten schätzen, dass 80 Prozent der Neufahrzeuge dieser Marke einen Zubehör-Krachauspuff mit Klappen bekommen. Seit 2016 und mit Euro 4 sollen Klappenauspuffe offiziell verboten sein. Nichts genaues weiß man nicht – in dieser lobbyistengesteuerten Bananenbiegerrepublik der Scheuerandis werden die Klappenauspuffe von Kesstec und Jeckyll & Hyde jedenfalls munter weiterverkauft. Sonst gäbe es die Firmen ja gar nicht mehr, denn: Ein vernünftiges Produkt haben sie nicht.

Nicht von dieser Welt: Da singt in einem anderen IVM-Lärmvideo ein Mädchen leise lauter, als die Harley vorüberfährt. Die Kuschelvariante von „Born to be wild“ hat leider nichts mit der Realität zu tun.

Auf NRA-Niveau angekommen

Ein ebenso munteres Stelldichein feiern in diesem Verband auch die Japaner (Suzuki, Kawasaki, Honda, Yamaha), die zuhause enge Daumenschrauben in Sachen Lärm angelegt haben, aber hierzulande richtig die Sau rauslassen: für maximale Zufriedenheit der Kunden. Und für den Rest (also die Nichtkunden) gibt es ein tröstendes Filmchen, mit dem die Lärmverdiener, „Sound“-Designer und Normenverdreher sich die Hände in Unschuld waschen.

Merke: Am Gas drehen immer die anderen! Das hat schon fast etwas von NRA

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Letzte Kommentare
  1. Ladendiebstahl und Unfallflucht sollen auf FDP-Wunsch Ordnungswidrigkeiten werden. Bei der Denkweise werden Rasen und Lärmen eher noch staatlich subventioniert.

  2. In Sachen Umweltschäden werden ja inzwischen weltweit gegen deutsche Unternehmen mit hohen Schadensersatzforderungen gerichtliche Verfahren nah dem Verursacherprinzip geführt. Vielleicht…

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