Link zum Bundesratsbeschluss:

https://motorradlaerm.de/wp-content/uploads/2020/05/125-20B.pdf

Zehn Jahre hat der Spiegel das Thema eher totgeschwiegen, jetzt wird gleich dreifach auf Motorradlärm eingegangen. Zu zwei Dritteln ehrt uns das, denn das war sauberer, abwägender Journalismus. Auf das andere Drittel möchte ich eingehen, denn hier pflegt ein Motorradfahrer sein persönliches Interesse und nutzt seinen Job als Mitarbeiter im Brüsseler Korrespondentenbüro, um mit einem Kommentar im Mobilitätsressort sein Mütchen zu kühlen. Aus der Forderung des Bundesrats, temporäre Streckensperrungen als ultima ratio gegen anders nicht zu beruhigende Hotspots zu ermöglichen, konstruiert er ein allgemeines Feiertags- und Wochenendfahrverbot gegen motorisierte Zweiräder, solange sie von einem Benzin-Motor angetrieben werden. Das sind populistische Methoden, die im Journalismus auch in einem Meinungsbeitrag keine Rolle spielen dürfen.

Becker-Kommentar: Den „mächtigen Anwohnerinitiativen“ auf die Finger geschaut. Ausriss aus: Spiegel Online.

Spiegelredakteur Markus Becker wirft all jenen, die gegen den unnötigen und mutwilligen Lärm kämpfen, Ignoranz, Intoleranz und Heuchelei vor. Der hier mißbräuchlich verwendete Toleranzbegriff begegnet mir im Zusammenhang mit Motorradlärm häufig – wenn auch relativ selten aus dem Munde eines Geisteswissenschaftlers. So formuliert Becker die Forderung an die Belästigten, Geschädigten und seit Jahrzehnten von der Politik und Polizei mißachteten, doch bitte gute Miene zum bösen Freizeitspiel seiner lärmenden Freunde zu machen. Toleranz also den Schädigern gegenüber, die lautes Gerät kaufen oder lautes Zubehör anschaffen? Lärm ist laut WHO das Umweltgift mit der zweithöchsten Krankheitslast.

Becker predigt außerdem – ganz mit der Fahrzeugindustrie – dass 80 Dezibel als Grenzwert technisch überhaupt nicht zu schaffen seien. Ja, das Ende des Kraftrads, wie wir es kennen, naht! Herr Becker: Es hat nur noch keiner probiert! Das erinnert fatal an den beschworenen Untergang des Abendlands, als seinerzeit Katalysatoren eingeführt werden sollten. Jedenfalls kann ich auf Nachfrage gerne ein 90-PS-Motorrad vermitteln, das diesen Grenzwert einhält, auch wenn es in Deutschland schwer zu bekommen ist und noch schwerer zu verkaufen. Für noch mehr Leistung innerhalb dieses Grenzwerts muss ich passen. Ich kann mir allerdings auch nicht vorstellen, dass sich jemand in der Fahrzeugindustrie über dieses Thema jemals Gedanken gemacht hat. Bei der bisherigen Lobbyunterstützung war nicht davon auszugehen, dass diese Tricksereien an Autos und Motorrädern jemals aufs Tapet kommen. Ja – wir sind selbst überrascht über die Bundesratsinitiative! Heuchelei ist ganz etwas anderes, Herr Becker: Dass in jedem Fahrzeugbrief eines neu zugelassenen Motorrads heute 77 dB (A) als Fahrgeräusch-Grenzwert stehen. Und dass dann bei den Anwohnern beliebter Motorradstrecken jeweils hundertfach am Tag deutlich über 100 dB (A) ankommen. Dazu schweigen Sie.

Becker verweist in seinem Meinungsbeitrag auf irreführende Positionen der Anti-Motorrad-Lobby. Es gebe gar keine Vorrichtungen, „die individuell vom Fahrer einstellbare Soundkulissen ermöglichen“. Hier nutzt er wiederum – populistisch und unwissenschaftlich – sprachliche Ungenauigkeiten; auch kolportiert über die einschlägigen Motorrad-Medien bis in die Schweiz. Fakt ist – und das ist gemeint: Bis heute gibt es tastengesteuerte Klappenauspuffe als Zubehör zu kaufen, bis heute werden elektronisch gesteuerte Klappenauspuffe an vielen Serien-Motorrädern ab Werk verbaut. Und bis heute gibt es Zubehörauspuffe mit EU-ABE. Das ist auch bei vielen Sportwagen der Fall, was dann auf der Straße ebenso unangenehm auffällt, wie die Lärmer auf zwei Rädern. Es ist aber keinesfalls technisch notwendig, was viele konventionelle Benzinmotoren zeigen, die ohne Klappen (und ohne Lärm) auskommen. Der TAZ gegenüber hat BMW Motorrad eingeräumt, dass die Klappenauspuffe allein dazu dienen, dass die Motorräder eine Geräuschzulassung bekommen.

Was die „Lobbyarbeit“ der „mächtigen Anwohnerinitiativen“ angeht, so verweise ich auf den Porsche-„Sound“spezialisten Hans-Martin Gerhard, der gegenüber SWR Fernsehen freimütig bekannte, dass die Lärmnorm bis zum Jahre 2016 „nicht das Papier wert war, auf dem sie gedruckt wurde“. Die neue, das haben wir erlebt, ist es auch nicht. Aber seine Wortmeldung ist insofern bemerkenswert, als dass Gerhard die wertlose Vorlage selbst verfasst hat, was im letztendlichen Gesetzesentwurf aus einer Word-Datei ausgelesen werden konnte. So sieht Lobbyarbeit in Deutschland aus: Porsche schreibt den Lärmgesetzentwurf. Wie definieren Sie Herr Becker Ihre Aufgabe als Mitarbeiter des Spiegel? Den mächtigen Anwohnerinitiativen auf die Finger zu sehen? Und wie bezeichnen Sie den hier gezeigten Einsatz für Ihre persönlichen Interessen? Während wir unsere „Lobby“-Interessen mit Argumenten und Social Media Reichweite vertreten müssen, nutzen Sie die Reichweite Ihres Brötchengebers für die Verbreitung von persönlichen Halbwahrheiten.

Herr Becker verweist nach Recherche auf unserer Internetseite auch darauf, dass wir eine 17 Jahre alte ACEM-Studie zitieren. Dieser Herstellerverband der Motorradindustrie hatte seinerzeit ermittelt, dass rund ein Drittel (30 Prozent) der Motorräder illegal lärmmanipuliert seien. Damals waren noch die Kunden die Bösen, heute sind es die Hersteller selbst, weshalb die Studie natürlich nicht neu aufgelegt wird. Der Vorwurf, wir würden mit alten Zahlen argumentieren, trifft uns nicht. Den 30 Prozent haben wir uns seinerzeit angeschlossen, weil es nichts Besseres gab – übrigens haben wir die Studie auf Empfehlung des Umweltbundesamt (UBA) bekommen. Und übrigens hat sich das UBA seinerzeit auch auf diese Quelle bezogen.

Seither ist rein gar nichts besser geworden: Die Betrügereien haben sich nur erheblich gewandelt. Die Hersteller geben sich alle Mühe, das illegale Treiben der Kunden durch eigenes „Sound“design zu erübrigen – und selber Geld mit Lärm zu verdienen. Auspuffklappen ab Werk und Zubehörauspuffe, die laut „Motorrad“-Tests in der großen Mehrzahl viel zu laut sind, werden montiert und bestimmen heute das Bild der „legalen“ Manipulationen. Und Menschen wie Herr Gerhard von Porsche sorgen durch die Lobby-Hintertür über die Norm für den gesetzlichen Segen.

Es ist, lieber Herr Becker, pure Demagogie, ein Problem wegzudiskutieren, nur weil keiner genau sagen kann, wie groß es ist; nicht nur weil Sie nicht Betroffener sind und in einer ruhigen Gegend wohnen, sondern darüberhinaus (perfiderweise) auf der anderen Seite auf dem Bock hocken. Bis hierhin war es undurchdachter Corpsgeist, der Sie bewegt. Der Rest des Artikels ist purer Whataboutism. Und das ist letztlich die Schwäche dieses Meinungsbeitrags: arm an Fakten, auch dünn an Argumenten – und dann bedienen Sie sich auch noch dieser Manipulationstechnik. Auch wenn die Brüder am digitalen Motorradstammtisch jubeln: Der Verweis auf Motorradlärm-Gegner, die gerne große Autos fahren oder mit dem Flugzeug in ferne Länder schweben, ist eines Journalisten, Geistenwissenschaftlers und Ex-Wissenschaftsredakteurs unwürdig. Für einen Lärmer hingegen schon fast typisch.

Nichts für ungut. Wir halten auch Ihren Lärm noch aus.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Beitrag stand, Markus Becker sei Leiter der Wissenschaft-Redaktion des Spiegel. Tatsächlich ist er Mitarbeiter im Brüsseler Büro der Zeitschrift. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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Letzte Kommentare
  1. Ladendiebstahl und Unfallflucht sollen auf FDP-Wunsch Ordnungswidrigkeiten werden. Bei der Denkweise werden Rasen und Lärmen eher noch staatlich subventioniert.

  2. In Sachen Umweltschäden werden ja inzwischen weltweit gegen deutsche Unternehmen mit hohen Schadensersatzforderungen gerichtliche Verfahren nah dem Verursacherprinzip geführt. Vielleicht…

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